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Reiselust & Reisefrust – Tourismus nach Corona

Prof. Dr. Harald Zeiss spricht im ZDF über die Möglichkeiten , die Effekte des Overtourism nach Corona in den Griff zu bekommen (Mehr dazu unter diesem Link)

Amsterdam, Island, Venedig – diese beliebten Reiseziele wären fast an den steigenden Besucherzahlen erstickt. Anwohner fühlten sich zunehmend aus ihrer Stadt verdrängt, auch die Umwelt litt schwer unter den Folgen des sogenannten Overtourism. Billigflieger und Bilder in den sozialen Medien machten Destinationen populär wie nie.

Doch seit März 2020 steht alles plötzlich still. Historische Bilder gehen um die Welt: glasklares Wasser in Venedigs Kanälen und Tiere, die sich wieder in die Lagune trauen, die sonst den riesigen Kreuzfahrtschiffen vorbehalten ist. Auch die Bewohner entdecken, wie schön ihre Stadt ohne den Tourismus sein kann. In Amsterdam sammelt eine Bürgerinitiative über 30.000 Unterschriften. Ihre Forderung: Es darf auf keinen Fall wieder so werden wie vorher. 

Die Politik reagiert vielerorts bereits mit vollmundigen Ankündigungen: Nachhaltigkeit sei das neue Ziel. Besucher sind willkommen, doch sie sollen der Stadt und ihren Bewohnern einen Mehrwert bringen. Und sie sollen sich besser verteilen, statt sich nur auf das Zentrum zu konzentrieren. Ob das gelingen kann, zeigt die Dokumentation. Der Tourismusexperte Prof. Dr. Harald Zeiss zeigt auf, welche Faktoren Situationen wie Overtourismus auslösen und wie sich die Entwicklung nach der Coronakrise fortsetzen könnte. Dabei spielen auch die Low-Cost-Airlines und die Kreuzfahrtreedereien eine Rolle. Und nicht zuletzt die Politiker vor Ort!

Während die meisten Urlaubsorte aktuell noch um jeden Gast kämpfen, werden in anderen Gegenden die Touristen gerade jetzt zum Problem. Denn aus Angst vor Ansteckung verbringen viele Deutsche ihren Urlaub in diesem Jahr im Inland. Ob wir mit diesen Verhältnissen auch in der Zukunft rechnen müssen, darüber gibt Zeiss im knapp 30 minütigen Beitrag Auskunft.

Corona – eine Chance für mehr Nachhaltigkeit?

Das Corona-Virus hat die ganze Welt im Griff und kaum ein Tag vergeht, an dem es keine schlechten Nachrichten aus der Tourismusbranche gibt. Länder verbieten – zu recht – das Reisen und somit bleiben den Hoteliers und Gaststätten, Ausflugsanbietern und Kreuzfahrtschiffen die Urlauber aus. Auch der Geschäftsreisemarkt ist fast vollständig zum Erliegen gekommen, genauso wie der internationale Flugverkehr.

Dabei liebt die Normalität nur einige Wochen zurück und bereits jetzt stellen sich einige bang die Frage, was vom Tourismus nach der Krise übrig bleibt, wenn viele Reiseveranstalter, Reisebüros und Leistungsträger Insolvenz anmelden müssen. Oder wenn die Urlauber aufgrund von Gehaltskürzung durch Kurzarbeit und Selbstständige ohne Einkommen bei den Reisebuchungen künftig weniger Geld für Urlaub in der Tasche haben.

Da bleibt wenig Hoffnung auf positive Nachrichten und Effekte, die aus der Corona-Krise folgen könnten. Aber es gibt tatsächlich schon einige Stimmen, die laut überlegen, ob der Tourismus nicht aus der Krise lernen könnte und sich eine stärkere Widerstandskraft gegen derartige Ereignisse antrainieren könnte. Vor allem die geringe Liquidität und die prekären Arbeitsbedingungen spielen bei diesen Überlegungen eine Rolle, aber auch die Globalisierung des Flugverkehrs, der nur der Spiegel unserer schneller-höher-weiter-Gesellschaft ist.

Könnte die Corona-Epidemie am Ende auch zu einem nachhaltigeren Tourismus führen?

Was wären die Weichen, die gestellt werden müssten, um der Welt dauerhaft eine Verschnaufpause zu gönnen? Die Delfine, die es wieder in der Bucht von Venedig gibt, sind nur ein Beispiel der positiven Nachrichten aus der Presse. Aber sie sind vielleicht auch ein guter Indikator für die Zukunft, dass wir stärker auf die Notwendigkeit eines sanfteren Tourismus achten.

Im Geschäftsreisemarkt werden heute schon die größten Veränderungen erwartet. Sehr viele Arbeitnehmer sind aufgrund von Homeoffice-Vorgaben zu Videokonferenz-Spezialisten geworden. Diese Fertigkeiten werden nach Wochen der Praxis so schnell nicht wieder abgelegt und künftig auf eine größere Bereitschaft der Nutzung stoßen. Hier ist auch der Hebel am größten, denn schneller und umweltfreundlicher geht es anderswo nicht.

Ob sich die erholungsuchenden Urlauber künftig an den Computer setzen um den Strand zu genießen, darf gerne bezweifelt werden. Was man jedoch erwarten kann ist, dass Menschen größere Gruppen instinktiv vermeiden werden – zumindest so lange es keine funktionierende Impfung gibt. Das wäre fatal für den Massentourismus, der sich genau über dieses Kriterium definiert. Gewinner werden kleine Hotels und Gaststätten sein, die den Wunsch nach Individualität und Abgrenzung am besten umsetzen können. Auch die Kreuzfahrt wird mit massive Anfangsschwierigkeiten rechnen müssen, bis das Virus vollständig unter Kontrolle ist.

Was bleibt am Ende? Sicherlich eine deutliche Verbreitung von Hygienevorschriften und Desinfektionsspendern in öffentlichen Bereichen. Vielleicht werden wir an Flughäfen ein Temperaturmessgerät genau so sehen wie den Ganzkörperscanner, an den sich die Flugreisenden seit 9/11 gewöhnt haben. Dass wir Flüssigkeiten nicht mehr ins Flugzeug nehmen dürfen, ist hinlänglich bekannt. Dass wir künftig im Flugzeug Masken tragen vielleicht noch Utopie, aber vermutlich schneller unser Alltag als vielen heute bewußt ist.

Auf jeden Fall werden wir mit der nächsten Pandemie schneller und professioneller umgehen, nachdem weltweit gelernt und verstanden wurde, auf was es ankommt.

Im Zweifel steht die Gesundheit der Menschen immer über der Gesundheit der Wirtschaft.

Und die Wirtschaft ist gut beraten, sich darauf einzustellen, und die eigene Widerstandskraft für die Zukunft auszubauen. Wer allerdings die Krise übersteht, der wird wachsen können, auch weil der ein oder andere Mitbewerber nicht mehr am Markt sein wird.

Die 10 nachhaltigsten Destinationen

Dr. Edgell, ein amerikanischer Tourismusforscher, veröffentlicht jedes Jahr eine Liste der zehn besten und nachhaltigsten Tourismusdestinationen.

Hier sind die Kandidaten für das Jahr 2020.

Von diesen Listen mag man halten was man will, aber sie sind zumindest eine gute Inspiration und auch Best Practices zum nachahmen.

  1. Der Cayo-Distrikt in Belize ist ein fabelhaftes Ökotourismus-/Nachhaltigkeits-Tourismusziel, das unberührte Berge, herrliche Regenwälder, imposante Flüsse, exotische Wildtiere, Maya-Tempel, wunderbare Nationalparks und fantastische Möglichkeiten bietet, die reiche Geschichte, das Erbe und die Kultur der Region zu genießen.
  2. Neuseelands Tongariro-Nationalpark vereint die besten Kriterien für einen nachhaltigen Tourismus. Die Natur- und Kulturlandschaften, die schönen Berge, die vielfältigen Ökosysteme und die einzigartige Wildnis machen den Park zu einem idealen Ort für Fotosafaris, Wanderabenteuer und Naturausflüge.
  3. Andalusiens Sierra Nevada ist der größte Naturpark Spaniens mit herrlichen Bergen und schönen Küstenlinien, beeindruckenden Stränden, malerischen Bergdörfern und einer reichen Flora und Fauna innerhalb der Region. Das UNESCO-Biosphärenreservat erfüllt als ökologisches und naturtouristisches Reiseziel die Kriterien der Nachhaltigkeit.
  4. Prince Edward Island, Kanada, ist ein einzigartiges nachhaltiges Reiseziel, das sich durch seine Geschichte, sein Erbe und seine kulturellen Programmen auszeichnet. Etwa 60 Naturgebiete wurden zur Erhaltung und zum Schutz sensibler ökologischer Gebiete unter Schutz gestellt. Sie schützen die schönen Insellandschaften und die Vielfalt der Flora und Fauna.
  5. Dominica ist wahrlich der „Garten Eden“ für Naturforscher und abenteuerlustige Reisende. Die Insel umfasst majestätische Berge, verlassene Küstenlinien, klare Flüsse, geothermische Quellen, und ein unglaubliches Grün auf der ganzen Insel. Darüber hinaus gibt es üppige Wälder und herrliche Wasserfälle sowie interessante kulturelle Attraktionen.
  6. Tasmanien, Australien ist ein ökologisch verantwortungsvolles Ökotourismusziel mit Schutzgebieten, die 42% seiner Landfläche bedecken. Dazu gehört der „Tahune Airwalk“ hoch über der Wildnis mit Blick auf den Regenwald, wo man Vögel und andere einheimische Tiere beobachten kann.
  7. Die schottischen Highlands, Großbritannien, sind durchdrungen von Geschichte, Erbe, Kultur, fantastischen Landschaften und riesigen Wildnisgebiete. Bergketten, historische Burgen, wunderschöne Landschaften und spektakuläre Seen, einschließlich des weltberühmten „Loch Ness“ stellen ein beeindruckendes nachhaltiges Reiseziel dar.
  8. Der Krüger-Nationalpark, Südafrika, ist ein riesiges Naturschutzgebiet mit einer unglaublichen Landschaft, und die Heimat von einer großen Vielfalt an Wildtieren, einschließlich der „Big Five“: Löwen, Leoparden, Elefanten, Büffel und Nashörner. Die Parkverwaltung ist bestrebt, die Schönheit zu erhalten und den natürlichen Lebensraum für die zahlreichen Tiere zu verbessern.
  9. Der UNESCO-zertifizierte Phong Nha-Ke Bang National Park, Vietnam, ist die Heimat von über 800 Wirbeltierarten, einschließlich des asiatischen Schwarzbären. Der Park hat auch die berühmte Son Doong Höhle, die größte Höhle der Welt, sowie andere spektakuläre Höhlen. Die Wälder im gesamten Park weisen eine große Anzahl seltener Flora und Fauna auf.
  10. Der Nationalpark Torres del Paine, Chile, ist ein UNESCO-Welt-Biosphärenreservat im chilenischen Patagonien, das im Grunde ein unberührtes Ökotourismusziel ist. Der Park bietet Vorzeigegletscher, wunderschöne Seen, malerische Flüsse, schneebedeckte Berge, eine lebendige Unterwasserwelt, unberührte Wildnis und eine geschützte Flora und Fauna.

Zur Information: David L. Edgell, Sr., Ph.D., emeritierter Professor der East Carolina University. Die Kriterien für die Nachhaltigkeit von Reisezielen basieren teilweise auf sechs Kriterien, die von der Initiative für nachhaltigen Tourismus von National Geographic (2002) und dem Buch Managing Sustainable Tourism (Edgell, 2020; Herausgeber: Routledge), Tourism Policy & Planning (Edgell & Swanson 2019; Herausgeber: Routledge) und persönlichen Besuchen in bestimmten Reisezielen entwickelt wurden.

Was der Klimawandel für den Tourismus bedeutet

Der Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen (englisch: Intergovernmental Panel on Climate Change, kurz: IPCC) kommt erneut zu dem Schluss: Der Klimawandel ist eine Tatsache und menschliche Aktivitäten, insbesondere der Ausstoß von Kohlendioxid, sind mit mindestens 90-prozentiger Sicherheit die Hauptursache dafür. Klimaveränderungen machen sich immer häufiger auf dem Planeten bemerkbar: Die Atmosphäre und die Ozeane erwärmen sich, Wälder stehen in Flammen, die Menge von Schnee, Gletschern und Eis sowie die damit bedeckte Fläche gehen zurück, die Meeresspiegel steigen, Wettermuster ändern sich.

Die Reisebranche wird Veränderungen in bis dato nicht bekanntem Tempo und Umfang zu verkraften haben

Die vom IPCC verwendeten Computermodelle für das Klima ergeben, dass die Klimaveränderungen im Laufe des 21. Jahrhunderts fortschreiten werden. Nehmen die Emissionen weiterhin so stark zu wie bisher, dann ist bis Ende des Jahrhunderts u.a. mit einem Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur um 2,6 bis 4,8 °C und der Meeresspiegel um 0,45 bis 0,82 Meter zu rechnen (verglichen mit dem heutigen Niveau), Wetterextreme wie Dürren oder Hitzewellen werden häufiger, so wie wir das bereits erleben.

Selbst wenn der Ausstoß von Treibhausgasen von einem Tag auf den anderen gestoppt würde, blieben die Temperaturen auf der Erde noch über Jahrhunderte erhöht.

Sachstandsbericht Intergovernmental Panel on Climate Change

Denn die bereits durch menschliche Aktivitäten freigesetzten Treibhausgase befinden sich weiterhin in der Atmosphäre und entfalten dort ihre Wirkung. CO2 kann über 1000 Jahre in der Atmosphäre stabil bleiben. Die Begrenzung eines weiteren Temperaturanstiegs erfordert daher eine deutliche und dauerhafte Verringerung der Treibhausgasemissionen.

Die Tourismusbranche gehört zu den größten Wirtschaftssektoren der Welt: Auf sie entfallen rund zehn Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. Sie erzielt mehr als sechs Billionen US-Dollar Umsatz pro Jahr und bietet mehr als 255 Millionen Menschen eine Existenzgrundlage. Für einige der weltweit ärmsten Länder ist der Tourismus besonders wichtig, vor allem für manche kleine Inselstaaten.

Die Branche ist mit schwerwiegenden Auswirkungen des Klimawandels konfrontiert, die sich bereits heute bemerkbar machen.

Mit dem Temperaturanstieg werden viele Reiseziele an Attraktivität verlieren. An manchen Orten wird es schwieriger, Wintersport zu treiben. Der Küstentourismus ist extrem verwundbar durch den Anstieg der Meeresspiegel. Natürliche Anziehungspunkte, für die Millionen von Touristen teils weite Reisen unternehmen – Korallenriffe, Wälder und tierreiche Savannen –, werden geschädigt oder zerstört werden. Allein die Feuer in Australien haben fast 30 Menschen und mehr als eine Milliarde Tiere das Leben gekostet und vernichteten mehr als 600.000 Hektar Wald und Steppe. 

Daneben sieht sich die Branche allgemeineren Auswirkungen gegenüber: beispielsweise teureren Versicherungen (aufgrund extremeren Wetters), Wassermangel, geringerer Ernährungssicherheit sowie vermehrten Konflikten an manchen Destinationen.

In begrenztem Umfang wird der Klimawandel auch positive Auswirkungen haben.

Die Temperaturveränderungen werden neue Regionen für manche Touristen attraktiver machen, und es werden sich Chancen auftun für neue Arten des Tourismus. Zudem gibt es Möglichkeiten, sich dem veränderten Klima anzupassen. Doch die neuen Geschäftsgelegenheiten werden wahrscheinlich kurzlebig sein, und die Möglichkeiten zur Klimaanpassung sind begrenzt. Mehr noch, viele potenzielle Anpassungsmaßnahmen dürften später in diesem Jahrhundert vom Klimawandel ”überholt“ werden – insbesondere bei hohen Treibhausgasemissionen.

(Politische) Maßnahmen zur Minderung des Treibhausgasausstoßes werden die Tourismuswirtschaft direkt betreffen – erst recht angesichts des starken Wachstums ihrer Emissionen. 95 Prozent der Emissionen sind auf Verkehr und Gebäude zurückzuführen. Daher sind diese zwei Bereiche maßgeblich für das Klimaschutzpotenzial der Branche.

Mehr und vor allem detailliertere Informationen dazu gibt es hier.

Prof. Zeiss bei Tagesthemen zum „Greta-Effekt“

Die Tagesthemen berichten über zunehmende Sensibilisierung bei Urlaubern zu Flugreisen. Prof. Dr. Harald Zeiss erklärt, ob ein Greta-Effekt zu erkennen ist.

Overtourism im Interview

In Folge 3 des Radio Tourism Podcasts spricht Sabrina Gander mit ihrem Gast, Dr. Harald Zeiss, Professor für Tourismusmanagement an der Hochschule Harz, über das Phänomen Overtourism.

Welche Destinationen sind davon besonders betroffen und warum? Welche Probleme entstehen dadurch? Und gibt es bereits erfolgreiche Lösungsansätze?

Weitere kompetente Stimmen zu diesem Thema sind der Bürgermeister der Gemeinde Hallstatt (Österreich), Alexander Scheutz sowie der Deputy Mayor von Amsterdam, Udo Kock.

Den Tatsachen in die Augen schauen

Oliver Graue kommentierte in der fvw, dass Flugscham keine Lösung sei. Prof. Zeiss antwortete in einem Gastkommentar

Flugscham soll keine Lösung sein? Wofür genau? Dass Flugscham aus Sicht der Tourismusbranche keine Lösung sein soll, ist nicht verwunderlich. Aber vor dem Hintergrund steigender CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre wäre es natürlich ein richtiger Schritt für das Klima – und einer, der für die Touristik gewaltige Konsequenzen hätte.

Der Kommentar zeigt leider deutlich, dass unsere Branche in einer fast notorischen Verteidigungshaltung angekommen ist. Anstatt mutig nach vorne zu schauen, werden die Probleme klein geredet. Dem Leser wird anhand bunter Beispiele vorgeführt, dass es schon nicht so schlimm wird (der Klimawandel), es auch gar nicht so dramatisch sei (der Flugverkehr) und die Schuld für die Klimamisere sowieso bei anderen zu suchen ist (den Paketzulieferern). Ganz nebenbei werden auch noch die – endlich politisch aktiven – Schüler diskreditiert, indem man ihnen vorhält, sie sollten keine Plakate in die Luft halten, so lange sie noch Videos auf dem Smartphone schauen. Wenn das die Antwort der Tourismusbranche auf die drängendste Frage unserer Zeit ist, dann bin ich ziemlich ernüchtert.

Fakt ist, dass die Auswirkungen des Klimawandels dramatisch sind. Sie finden nur nicht vor unserer Haustüre statt, was dazu führt, dass manch einer sie dann auch nicht sieht oder sehen will. Im Pazifik gibt es die ersten Klimaflüchtlinge, die ihre Heimat verlassen mussten, um in Neuseeland ein neues Zuhause zu finden. Australien kämpft gegen ungekannt große Buschfeuer, Springfluten und ein sterbendes Great Barrier Reef. Teile des Nahen Ostens und Nordafrikas werden schon heute durch verlängerte Hitzewellen und Wüstenstürme für Menschen unbewohnbar – mit Nachttemperaturen über 30 Grad Celsius und tagsüber 46. Dort wird auch niemand seinen Urlaub verbringen wollen. Und das ist erst der Anfang einer voraussichtlich sehr lang andauernden Entwicklung. 

Fakt ist auch, dass Tourismus im Allgemeinen und Flugverkehr im Speziellen ihren Teil zu den CO2-Emissionen beitragen: 5% bzw. 2,7%. Das sieht auf den ersten Blick nicht viel aus, aber wer sich vor Augen führt, dass nur die Eliten der Welt dieses Verkehrsmittel nutzen (weniger als 20% der Menschen hat jemals im Leben ein Flugzeug betreten), aber die gesamte Menschheit die Konsequenzen zu tragen hat, dann kann die Diskussion nicht damit beendet sein, dass vorher andere Branchen erst einmal Emissionen sparen sollen. Ganz abgesehen davon, dass die wachsende Mittelschicht in China und Indien bald schon am Gate steht und in den nächsten Jahren den Anteil der Flug-Emissionen deutlich nach oben treibt.

Und Fakt ist leider auch, dass es die Politik für die Branche nicht richten wird. Das hat uns die Erfahrung bei vielen anderen Themen längst gelehrt. 

Was ist zu tun? Zuerst einmal müssen wir den Tatsachen, anstatt sie klein zu reden, ins Auge sehen. Wir verkaufen eine Dienstleistung, die kein Menschenrecht ist, sondern ein Luxus, der jederzeit wieder abgeschafft oder eingeschränkt werden kann. Die Landwirtschaft in Deutschland erzeugt mehr als 7% der CO2-Emissionen, aber über deren Abschaffung wird niemand ernsthaft nachdenken. Wir benötigen touristische Innovationen, die den Klimawandel und dessen Konsequenzen mit einbeziehen. Die Entwicklung von Weltraumreisen zählt sicherlich nicht dazu. Sehr wohl aber Angebote, die klimafreundliche Anreisen, Ressourcen schonende Unterbringungen und nachhaltige Ausflüge vor Ort fokussieren. 

Die deutsche Tourismusbranche kann durchaus ein Vorbild sein. Die heimischen Kreuzfahrt-Reedereien AIDA und TUI Cruises zum Beispiel liefern sich seit 2011 ein Rennen um die besten Positionen im NABU-Kreuzfahrt-Ranking. Mit substantiellen Erfolgen für die Gäste und für die Umwelt. Zum Produkt Kreuzfahrt kann man stehen wie man will, aber man muss trotzdem anerkennen, dass in gerade einmal sieben Jahren der Wechsel vom Antrieb Schweröl zu Flüssiggas gelungen ist. Darüber hinaus wurden Schwefel-Abgase reduziert, Abfall-, Wasser- und Energieverbrauch an Bord um mehr als 30% gesenkt und Ausflüge sowie Buffets deutlich umweltfreundlicher gestaltet. Eine klimafreundliche Baltikum-Kreuzfahrt ab Kiel ist keine unerreichbare Utopie, wenn als Treibstoff flüssiges Biogas verwendet wird. Vieles davon wurde in Deutschland entwickelt und getestet und dient heute als Blaupause für die internationale Kreuzfahrt-Industrie und die Schifffahrt insgesamt. 

Kann das auch die Luftfahrt? 2016 wurde mit dem TV-Spot „Fliegen ist das neue Öko“ um eine junge Kundschaft geworben. Aber mit dieser Botschaft fing sich der Lobby-Verband BDL zurecht viel Kritik ein. Zwar sind die Pro-Kopf-Emissionen pro Flugkilometer in den letzten Jahrzehnten deutlich reduziert worden. Über die zwei- bis dreifache Klimawirkung in der Atmosphäre wurde jedoch nichts gesagt. Auch nichts über die Vielfliegerei, die dank immer günstigeren Preisen und Angeboten nicht mehr nur den Geschäftsreisenden vorbehalten ist. Der 2-Tage-Städtetrip per Flieger ist in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen – und damit zusätzliche CO2-Emissionen, die das Klima weiter belasten. 

Bis dato gibt es immer noch keine einsatzbereite technische Lösung, die das Fliegen in der Zukunft klimaneutral macht. Jede Sekunde sind 10.000 Flugzeuge in der Luft, mit einem entsprechend großen Durst nach Kerosin. Biotreibstoffe sind aus verschiedensten Gründen keine Lösung. Batterien sind nur für die Kurzstrecke geeignet, für die man aber besser die Bahn nimmt. Und electro-fuels aus Ökostrom, ein klimafreundlicher Ersatz für fossile Treibstoffe, haben das Labor noch nicht verlassen. Bis es soweit ist, bleibt den Konsumenten daher nur die CO2-Kompensation; oder die Flugscham, die immer mehr Menschen lieber am Boden bleiben lässt. Die Airliner, nein, die ganze Branche muss das Thema adressieren, Kunden informieren, CO2-Emissionen reduzieren oder kompensieren. Das wird teurer, aber auch ehrlicher und zeugt von der Verantwortung, die wir gegenüber künftigen Generationen haben. 

Wir Deutsche werden die Welt sicherlich nicht im Alleingang retten. Aber die Welt schaut mehr auf uns, als wir denken. Wenn wir erfolgreiche Klimalösungen Made in Germany anbieten, stehen die Chancen gut, dass diese auch in China, Indien oder Brasilien kopiert werden. Das ist der Hebel, den wir in der Hand haben. Und unsere moralische Pflicht, nachdem wir über Jahrzehnte hinweg einen weit über dem Weltdurchschnitt liegenden Konsum betrieben haben, der letztendlich seinen Teil zum heutigen Klimaproblem beigetragen hat.