Wie die Rhein Neckar Zeitung berichtet, hat sich Prof. Dr. Harald Zeiss, Wirtschaftswissenschaftler und Leiter des Instituts für Tourismusforschung an der Hochschule Harz sowie Geschäftsführer des Instituts für nachhaltigen Tourismus, zur Zukunft des Tourismus und zu aktuellen Protesten in vielen Destinationen geäußert.
Warum bleibt der Tourismus auch langfristig eine Wachstumsbranche?
Nach Einschätzung von Harald Zeiss wird der Tourismus auch langfristig eine Wachstumsbranche bleiben. Allerdings unterscheidet sich dieses Wachstum deutlich von früheren Phasen. Globale Trends wie das Anwachsen der Mittelschicht, neue Herkunftsmärkte in Asien und Lateinamerika sowie eine steigende Reiselust sprechen weiterhin für eine hohe Nachfrage. Gleichzeitig setzen Klimapolitik, steigende Energiepreise, Arbeitskräftemangel und begrenzte Kapazitäten dem quantitativen Wachstum enge Grenzen. Zukünftig werde es daher stärker auf Wertschöpfung, Qualität und eine bessere saisonale Verteilung ankommen als auf reine Gästezahlen.
Kriege, Krisen und der Klimawandel führen laut Zeiss nicht zu einem Zusammenbruch des Tourismus, sondern zu Verschiebungen. Einige Reiseziele verlieren, andere gewinnen. Buchungen werden kurzfristiger, Jahreszeiten verändern sich und Angebote müssen angepasst werden. Besonders deutlich zeigt sich dies in Regionen wie den Alpen, wo Hitze, Wasserstress, Waldbrandgefahr und steigende Versicherungsprämien den Anpassungsdruck erhöhen. Auch der Luftverkehr verteuert sich perspektivisch, was die Erreichbarkeit mancher Ziele beeinflusst.
Ist der Tourismus krisenfest?
Für Deutschland sieht Zeiss den Tourismus insgesamt als vergleichsweise krisenfest an. Ein starker Binnentourismus, eine dichte Bevölkerung, vielfältige Regionen sowie attraktive Gesundheits und Naturangebote stabilisieren die Nachfrage. Gleichzeitig bleiben Wetterextreme, Energiepreise und Baukosten zentrale Herausforderungen. Das Angebot werde sich anpassen, wobei Freizeit und Urlaubsreisen künftig eine größere Rolle spielen dürften.
Im oft beschworenen Gegensatz zwischen hochpreisigem Tourismus und günstigem Pauschaltourismus erkennt Zeiss weniger einen Kampf als vielmehr eine Segmentierung. Preiswerte Pauschalangebote sichern Auslastung und Zugänglichkeit, während Premium und Nischenangebote für Qualität und höhere Löhne stehen. Viele Destinationen und Betriebe bedienen beide Segmente parallel, wobei Investitionen entscheidend sind, um Qualitätsverluste zu vermeiden.
Warum protestieren Einheimische gegen den Tourismus?
Besonders deutlich positioniert sich Zeiss zu den zunehmenden Protesten von Einheimischen in Tourismusregionen. Diese müsse man sehr ernst nehmen. Ein Tourismus ohne Akzeptanz der lokalen Bevölkerung sei langfristig nicht möglich. Entscheidend sei, dass Einheimische fair vom Tourismus profitieren und Belastungen aktiv gemanagt werden. Dazu zählen Instrumente wie Besucherlenkung über Zeitfenster und Kontingente, Regeln gegen die Zweckentfremdung von Wohnraum, Community Fonds, eine verbindliche Beteiligung der Bevölkerung sowie ein systematisches Monitoring der sozialen Tragfähigkeit.
Auch bei der Diskussion um Overtourism und Gebührenmodelle, etwa nach dem Vorbild Venedigs, mahnt Zeiss zur Differenzierung. In erster Linie liege die Verantwortung bei den lokalen Behörden. Zum Instrumentenkasten gehörten Kapazitätsgrenzen an Hotspots, Slot und Buchungssysteme, Verkehrs und Parkraummanagement, datenbasierte Besucherlenkung und Angebotsdiversifizierung. Gebührenmodelle nähmen zwar zu, funktionierten aber nur mit klaren Zielen und einer transparenten, zweckgebundenen Verwendung. Der Preis allein löse das Problem nicht.
Die Einschätzungen von Harald Zeiss unterstreichen, dass die Zukunft des Tourismus weniger in Wachstum um jeden Preis liegt, sondern in einem klugen, akzeptierten und nachhaltig gesteuerten Zusammenspiel von Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft.
Quelle: Rhein Neckar Zeitung, Interview von Gernot Heller. Weitere Informationen zum Institut für nachhaltigen Tourismus und zu aktuellen Projekten finden sich unter www.inatour.de.

